Theaterschiff Potsdam
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Potsdamer Neuste Nachrichten vom 03.03.2014 zu Bin nebenan

In der Gummizelle

von Steffi Pyanoe

 

Ein hoffnungsloser Fall. Die Hauptdarstellerin wird zum Opfer ihres eigenen Dekorierwahns. Foto: Stefan Gloede

Das neue Stück „Bin nebenan“ auf dem Theaterschiff lässt den Zuschauer etwas ratlos zurück

Ach, diese Qual. 80 Minuten eingesperrt im Schiffsbauch, kein Fluchtweg, der Ausgang hinter der Bühne. Aus dem Stück feige abzuhauen, das wäre eine Offenbarung. Weil man es nicht aushält, mit den Darstellern, mit den Figuren, mit sich selbst. Doch aus dem neuen Stück „Bin nebenan“ , das vergangenen Freitag Premiere auf dem Theaterschiff hatte, gibt es kein Entkommen. Hier wird gnadenlos eingerichtet, gekauft, geklebt, geputzt, bis das Leben hinter einer Fassade verschwunden ist. Bis sich alles Wirkliche, Lebendige irgendwo anders abspielt. Vielleicht ja gleich nebenan, aber das herauszufinden, müsste man sich aufraffen. Die Figuren im Stück haben dazu überhaupt keine Zeit.

Die Figuren der vier Monologe von Ingrid Lausund (Regie: Annett Scholwin) nehmen einen mit in menschliche Verzweiflung und Orientierungslosigkeit. Vieles, das die beiden in ihren Epilogen vortragen und sehr körperlich ausleben, kommt einem bekannt vor, und gern würde man einfach mal dazwischengehen, doch man bleibt Voyeur. Außen vor – und doch mittendrin.

Anders als sonst üblich ist der komplette Saal fast hell erleuchtet, was die Zuschauer in eine kalte Big-Brother-Szenerie hineinzieht. Wo ist die Grenze? Gibt es überhaupt eine? Frau und Mann (Karen Schneeweiß-Voigt und Stefan Reschke) leben in diesem Glashaus und exhibitionieren sich, sodass der Zuschauer des Öfteren schmerzhaft und peinlich berührt zu Seite schauen muss.

Wie sich der Mann fertigmachen lässt von dem Möbelhaus, in dem er eine Couch kaufen will. Stefan Reschke schreit seine Wut hinaus, wälzt sich auf dem hölzernen Plankenfußboden, robbt und krabbelt, verknotet sich, als wäre er in einer Gummizelle, die ihm die Luft zum Atmen nimmt. In seinem Verfolgungswahn sieht er sich zwei Marktforschern gegenüber, die bestätigen, was er schon ahnte: Er ist der Zielgruppen-Durchschnittstyp. „Siebentausend Profile übereinandergelegt ergeben mein Gesicht!“ Das regt ihn so sehr auf, dass er gar nicht in der Lage ist, eine eigene Meinung zu ergründen. Er hätte ziemliche Lust, die Sofas und Beistelltische kurz und und klein zu schlagen, doch das wäre dann irgendwie auch sein eigenes Leben. Also läuft er dem Wegeleitsystem bis ans Ende nach und lässt zu Hause seine Wut raus.

Ist es derselbe Typ, der wenig später zu Hause von seinem Wochenende berichtet? Die nebeneinandergestellten Monologe lassen offen, ob die Figuren etwas miteinander zu tun haben. Sie sind Masken, Schatten, Schablonen, die andocken könnten aneinander, es auch versuchen – doch ohne miteinander zu sprechen. Keiner ist je richtig da, für sich, für den anderen, bis auf hauchzarte Gesten, wenn er der erschöpften Frau einmal eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. Nach dem Fiasko ihrer „Schöner Baden“-Aktion.

Diese Frau möchte man nach der Hälfte ihres Monologs einfach nicht mehr hören. Oder sie in die Psychiatrie eingewiesen sehen. Der Dekorierwahn ist schlimm genug, ein grausame verzerrtes Abbild der Wellnessbranche, doch sie schafft es nicht einmal, sich in der mit Klebefolie in Carrara-Design zugepappten Wohlfühloase tatsächlich wohlzufühlen. Denn das schlechte Gewissen klopft, es tropft in ihr Hirn wie ein kaputter Wasserhahn, bis sie schwört, gleich morgen an eine Brunnenbau-Hilfsorganisation zu spenden, damit Afrika nicht verdurstet und sie in Ruhe in 180 Litern Trinkwasser baden kann. Das kann sie nämlich nicht, obwohl sie es sich ja verdient hat, sagt sie.

Dass sie am Ende von einer Invasion afrikanischer Bootsflüchtlinge fantasiert, das ist schon sehr weit hergeholt, doch gut gespielt von Karen Schneeweiß-Voigt, wenngleich es ein paar Längen gibt. Womöglich gehört das zum Konzept, das Leben ist eben nicht immer kurz und knackig. Es sind schlaffe, unentschlossene Menschen, die hier sprechen, nach etwas suchen oder gar mit ihrer Doppelmoral prahlen. Wer meint, im Leben nichts auf die Reihe gekriegt zu haben, der sucht sich wenigstens noch im Vollbesitz seiner Sinne eine schöne Grabstätte aus. Und staucht die Sachbearbeiterin im kommunalen Rathaus ordentlich zusammen, wenn der perfekte Grabhügel mit Ausblick nicht mehr zu haben ist.

Die Monologe des Grabtouristen und des scheinheiligen Typen, der während der Dienstreise der Freundin in der gemeinsamen Bude die Sau rauslässt, hinterher alles picobello aufräumt, während der letzte Pornostreifen noch läuft, sind miteinander verschränkt. Noch dazu haben die beiden Schauspieler nun ihre Kleider getauscht, schlüpfen also ganz offensichtlich in andere Rollen. Es verlangt schon einiges an Aufmerksamkeit, um den Erzählsträngen zu folgen. Aber weil es ohnehin keine Handlung gibt, ist das auch schon egal. Am Ende sind wieder alle allein, Mann und Frau – und die Zuschauer. Und man fragt sich unweigerlich, ob das Leben wirklich so schlimm ist.