von Steffi Pyanoe
Ein hoffnungsloser Fall. Die Hauptdarstellerin wird zum Opfer ihres eigenen Dekorierwahns. Foto: Stefan Gloede
Das neue Stück „Bin nebenan“ auf dem Theaterschiff lässt den Zuschauer etwas ratlos zurück
Ach, diese Qual. 80 Minuten eingesperrt im
Schiffsbauch, kein Fluchtweg, der Ausgang hinter der Bühne. Aus dem
Stück feige abzuhauen, das wäre eine Offenbarung. Weil man es nicht
aushält, mit den Darstellern, mit den Figuren, mit sich selbst. Doch aus
dem neuen Stück „Bin nebenan“ , das vergangenen Freitag Premiere auf
dem Theaterschiff hatte, gibt es kein Entkommen. Hier wird gnadenlos
eingerichtet, gekauft, geklebt, geputzt, bis das Leben hinter einer
Fassade verschwunden ist. Bis sich alles Wirkliche, Lebendige irgendwo
anders abspielt. Vielleicht ja gleich nebenan, aber das herauszufinden,
müsste man sich aufraffen. Die Figuren im Stück haben dazu überhaupt
keine Zeit.
Die Figuren der vier Monologe von Ingrid Lausund (Regie: Annett
Scholwin) nehmen einen mit in menschliche Verzweiflung und
Orientierungslosigkeit. Vieles, das die beiden in ihren Epilogen
vortragen und sehr körperlich ausleben, kommt einem bekannt vor, und
gern würde man einfach mal dazwischengehen, doch man bleibt Voyeur.
Außen vor – und doch mittendrin.
Anders als sonst üblich ist der komplette Saal fast hell erleuchtet,
was die Zuschauer in eine kalte Big-Brother-Szenerie hineinzieht. Wo ist
die Grenze? Gibt es überhaupt eine? Frau und Mann (Karen
Schneeweiß-Voigt und Stefan Reschke) leben in diesem Glashaus und
exhibitionieren sich, sodass der Zuschauer des Öfteren schmerzhaft und
peinlich berührt zu Seite schauen muss.
Wie sich der Mann fertigmachen lässt von dem Möbelhaus, in dem er
eine Couch kaufen will. Stefan Reschke schreit seine Wut hinaus, wälzt
sich auf dem hölzernen Plankenfußboden, robbt und krabbelt, verknotet
sich, als wäre er in einer Gummizelle, die ihm die Luft zum Atmen nimmt.
In seinem Verfolgungswahn sieht er sich zwei Marktforschern gegenüber,
die bestätigen, was er schon ahnte: Er ist der
Zielgruppen-Durchschnittstyp. „Siebentausend Profile übereinandergelegt
ergeben mein Gesicht!“ Das regt ihn so sehr auf, dass er gar nicht in
der Lage ist, eine eigene Meinung zu ergründen. Er hätte ziemliche Lust,
die Sofas und Beistelltische kurz und und klein zu schlagen, doch das
wäre dann irgendwie auch sein eigenes Leben. Also läuft er dem
Wegeleitsystem bis ans Ende nach und lässt zu Hause seine Wut raus.
Ist es derselbe Typ, der wenig später zu Hause von seinem Wochenende
berichtet? Die nebeneinandergestellten Monologe lassen offen, ob die
Figuren etwas miteinander zu tun haben. Sie sind Masken, Schatten,
Schablonen, die andocken könnten aneinander, es auch versuchen – doch
ohne miteinander zu sprechen. Keiner ist je richtig da, für sich, für
den anderen, bis auf hauchzarte Gesten, wenn er der erschöpften Frau
einmal eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. Nach dem Fiasko ihrer
„Schöner Baden“-Aktion.
Diese Frau möchte man nach der Hälfte ihres Monologs einfach nicht
mehr hören. Oder sie in die Psychiatrie eingewiesen sehen. Der
Dekorierwahn ist schlimm genug, ein grausame verzerrtes Abbild der
Wellnessbranche, doch sie schafft es nicht einmal, sich in der mit
Klebefolie in Carrara-Design zugepappten Wohlfühloase tatsächlich
wohlzufühlen. Denn das schlechte Gewissen klopft, es tropft in ihr Hirn
wie ein kaputter Wasserhahn, bis sie schwört, gleich morgen an eine
Brunnenbau-Hilfsorganisation zu spenden, damit Afrika nicht verdurstet
und sie in Ruhe in 180 Litern Trinkwasser baden kann. Das kann sie
nämlich nicht, obwohl sie es sich ja verdient hat, sagt sie.
Dass sie am Ende von einer Invasion afrikanischer Bootsflüchtlinge
fantasiert, das ist schon sehr weit hergeholt, doch gut gespielt von
Karen Schneeweiß-Voigt, wenngleich es ein paar Längen gibt. Womöglich
gehört das zum Konzept, das Leben ist eben nicht immer kurz und knackig.
Es sind schlaffe, unentschlossene Menschen, die hier sprechen, nach
etwas suchen oder gar mit ihrer Doppelmoral prahlen. Wer meint, im Leben
nichts auf die Reihe gekriegt zu haben, der sucht sich wenigstens noch
im Vollbesitz seiner Sinne eine schöne Grabstätte aus. Und staucht die
Sachbearbeiterin im kommunalen Rathaus ordentlich zusammen, wenn der
perfekte Grabhügel mit Ausblick nicht mehr zu haben ist.
Die Monologe des Grabtouristen und des scheinheiligen Typen, der
während der Dienstreise der Freundin in der gemeinsamen Bude die Sau
rauslässt, hinterher alles picobello aufräumt, während der letzte
Pornostreifen noch läuft, sind miteinander verschränkt. Noch dazu haben
die beiden Schauspieler nun ihre Kleider getauscht, schlüpfen also ganz
offensichtlich in andere Rollen. Es verlangt schon einiges an
Aufmerksamkeit, um den Erzählsträngen zu folgen. Aber weil es ohnehin
keine Handlung gibt, ist das auch schon egal. Am Ende sind wieder alle
allein, Mann und Frau – und die Zuschauer. Und man fragt sich
unweigerlich, ob das Leben wirklich so schlimm ist. |