„34,5 cm neben dem Glück“: Das Leben eines Familienvaters und Zeitsoldaten auf dem Theaterschiff

POTSDAM / INNENSTADT - Anderthalb Stunden sitzt man als Zuschauer der neuesten Inszenierung des Theaterschiffs zwischen den Fronten – und das ist wörtlich zu nehmen: Sven (Bob Schäfer) ist Familienvater und Zeitsoldat; auf der linken Bühnenhälfte kämpft er in Afghanistan, auf der rechten Seite sitzen seine Ehefrau und die beiden Kinder im nagelneuen Einfamilienhaus.Der Afghanistan-Einsatz..

Der (verbale) Kampf hinter einer Zentimeter genau gepflanzten Gartenhecke verläuft harmlos: Anna (Irene Ossa-Moyzes) und Sven schmachten sich nach jahrelanger Ehe an wie Frischverliebte – er wünscht sich nichts mehr als eine nackt durch den Garten laufende Ehefrau. In Gedanken schmückt Anna lange vor dem ersten Frost den Weihnachtsbaum und backt die teure Bio-Gans goldbraun. Sven ist genervt und die Stimmung kippt, über Lametta lässt sich bekanntlich gut streiten.

Es ist ein müßiger Streit, denn Zeitsoldat Sven wurde über Weihnachten nach Afghanistan kommandiert. Hindukusch und Gartenhecke liegen sowohl in Svens Welt als auch auf der von Jana Feiler gestalteten Bühne bedrohlich nah beieinander.

Das Stück „34,5 cm neben dem Glück“ entwickelten Martina König und Niclas Ruge nach einer wahren Geschichte. „Tief berührt“ sei Regisseurin König gewesen, als sie Heike Groos in einem Radiointerview hörte. Diese war als Oberstabsärztin zwei Jahre für die Bundeswehr in Afghanistan und hat ihre Erfahrungen in zwei Büchern verarbeitet: „Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan“ (2009) und „Das ist auch euer Krieg. Deutsche Soldaten berichten von ihren Einsätzen“ (2010). Per Mail hat Martina König die Ärztin und Autorin über die Inszenierung des Theaterschiffs auf dem Laufenden gehalten.

„Einfach Bock, mal richtig draufzuballern“ auf einen Taliban hat Svens Kamerad Dirk (Mario Neubert) beim Wacheschieben unterm afghanischen Sternenhimmel. „Alter, das ist besser als jeder Orgasmus“, schwadroniert er und erzählt im nächsten Moment von seinem Testament. Sven fühlt nur „Wut im Bauch“ und schnell wird klar, warum er weit weg von zu Hause sein Leben aufs Spiel setzt: „Mein Vater hat gesoffen und sich dann verpisst. Darum mach ich das hier, damit es meine Frau und die Kinder besser haben.“ (Stichwort: Haus, Garten, Bio-Gans.) Als ein verzweifelter Kamerad sich das Leben nimmt, leistet die Stabsärztin Erste Hilfe mit Hochprozentigem und makaberen Witzen. Es sind vor allem die Dialoge zwischen den Soldaten, von denen „34,5 cm neben dem Glück“ lebt; der brandenburgische Dialekt macht deutlich, dass es Frauen und Männer von nebenan sind, die in Afghanistan kämpfen, „so wie Soldaten das in einem Krieg tun“ (Angela Merkel).

(Von Juliane Primus)