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PNN vom 04.09.2015 vom 04.09.2015 zu Nacktbadestrand

Über die Lust im Alter

von Steffi Pyanoe

Rosa von Praunheim inszeniert mit Christiane Ziehl „Nacktbadestrand“ auf dem Theaterschiff in Potsdam. Darin entdeckt eine 79-Jährige ihre Lust - und verstößt gegen mehrere Konventionen einer verklemmten Gesellschaft.

Potsdam - Quer über die Bühne ist ein dünnes Seil gespannt. Dahinter steht Christiane Ziehl, eine kleine Frau, und probiert, ob sie darüberschauen könnte, ins Publikum. Es ginge, gerade so. „Na ja, da kommt ja noch die Wäsche dran, lauter bunte BHs“, sagt sie verschmitzt. Es ist Probenzeit auf dem Theaterschiff, am morgigen Freitagabend findet seit Langem wieder eine Premiere auf dem „Sturmvogel“ statt. „Nacktbadestrand“ heißt das Stück, eine Collage nach dem Bestseller der Österreicherin Elfriede Vavrik.

„Ich hoffe, es kommen viele Altersheime“, sagt Rosa von Praunheim aufgeregt. Der Regisseur und Autor aus Berlin inszeniert das Stück mit der Schauspielerin aus Brandenburg/Havel. Es wird die Uraufführung des Stoffes als Bühnenstück. Und es geht um sexuelle Lust im Alter. Um eine Frau, die mit 79 Jahren ihre Lust entdeckt und beschließt sie auszuleben. Sich zu nehmen, wonach ihr ist. Liebhaber. Mehrere. Und meist sogar wesentlich jüngere. Gleich mehrfach verstößt sie damit gegen die Konventionen einer verklemmten Gesellschaft. Weil es ihr so gut tut. „Ich habe meine drei Kinder und meine drei Liebhaber. Ich bin zufrieden“, wird sie am Ende sagen.

Themen, über die man nicht spricht

Deshalb haben sie auch Einladungen an Seniorenheime verschickt, ganz ernst gemeint. Rosa von Praunheim hat in Sachen Sex keine Artikulationsprobleme. Im Gegenteil. Es dauert nur wenige Augenblicke, bis er seinen Gesprächspartner liebevoll seziert hat. Der Begründer der Schwulen-Film-Szene, der auch einige Zeit an der Potsdamer Filmhochschule dozierte, und Christiane Ziehl kennen sich aus früheren Filmprojekten. Für den so außergewöhnlichen wie menschlichen Stoff habe sich das Theaterschiff einfach angeboten, sagt Ziehl. Ein bisschen hat Rosa sie überrumpelt zu der Rolle. Sie hätte gern Regie geführt. „Sie spielt aber so gut“, sagt von Praunheim.

„Mich interessieren Themen, über die man nicht spricht. Mir imponiert der Mut, den Elfriede Vavrik hatte“, sagt Christiane Ziehl. Sie ist 64 Jahre alt, sie ärgert sich über ihre Oberarme, sie ist nicht schlank. Du musst dich nicht verstecken, du bist schön, sagt Rosa.

Sex gegen Depressionen

Elfriede Vavrik hat so etwas wohl nie gehört, jedenfalls nicht, bevor sie ihr Sexleben und sich selbst neu entdeckte. Sie war zweimal geschieden, hatte drei erwachsene Kinder und konnte, nachdem sie Rentnerin geworden war, nachts nicht mehr schlafen. Wurde depressiv. Was wäre gewesen, hätte der Arzt ihr einfach Pillen verschieben, wie sie das wollte?

Aber nein, sagte er, sie solle es mal mit Sex versuchen. Also annoncierte sie, suchte nach Partnern, fürs Bett, nicht fürs Leben. Hatte mit fast 80 Jahren ihren ersten Orgasmus, wie sie schreibt. Und konnte auch wieder gut schlafen. Als das Buch vor fünf Jahren erschien, war sie Gast in vielen Talkshows.

Rosa von Praunheim: „Es geht nicht um Liebe, es geht um Sex"

Nun ist Christiane Ziehl diese Elfriede. Erzählt dem Publikum von dem Arztbesuch, blättert in der Zeitung, liest die Zuschriften auf ihre Anzeigen, ruft Männer an, verabredet sich. Dazwischen hängt sie Wäsche auf, BHs und dazugehörige Schlüpfer, sagt Ziehl. „Ausziehen wird sich niemand“, und Rosa kann sich ein „Schade eigentlich“ dazu nicht verkneifen. Ab und zu wird eine Geigerin auftreten, eine passende Melodie spielen. Ziehl wird sich schminken und für die Rendezvous zurechtmachen. Die Männer selbst kommen nur als Stimme vom Band. „Es geht nicht um Liebe, es geht um Sex“, sagt Rosa von Praunheim. Das sei ein wichtiger Unterschied. Und gerade das – dass auch Frauen wechselnde Partner haben wollen – sei eben noch lange nicht gesellschaftlich anerkannt. „Bei Männern wird das akzeptiert. Die dürfen das“, sagt er. Die dürfen sich auch jüngere Partnerinnen suchen. Wenn eine alte Frau mit einem jungen Mann schläft, ist das pervers. Nein, an der Verklemmtheit der Umwelt gibt es nichts zu beschönigen. Das hat er schon 1971 zum Thema Schwul-Sein gesagt: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“

Trotz der klaren Worte, die Autorin, Schauspielerin und Regisseur verwenden, sei es keineswegs ein pornografisches, sondern ein sehr berührendes, fast leises, sensibles Stück. Hier steht einfach eine Frau. „Und sagt, was sie zu sagen hat.“ Dazu werden im Hintergrund fast 40 Bilder gezeigt, gemalt von Rosa von Praunheim. Diese Bilder hätten eine eigene Ausstellung verdient. Praunheim hat gemalt, was Ziehl sagt – oder was ungesagt bleibt. Körper und Körperteile, blumig, verletzlich, derb, ungenormt, verzerrt, surreal. Auch Schwänze, Brüste, Hintern, Vaginas. Doppelschwänze. „Ja, das gibt es“, sagt er und scheint sich einen Spaß daraus zu machen, die entsprechenden Fachwörter anzuwenden.

Die Sprache von Elfriede Vavrik ist manchmal fast ebenso direkt. Nicht immer geht es dabei nur um Sex. „Wenn ich bei einem meiner Freunde in den Armen lag, dachte ich oft, dass es ein guter Augenblick zu sterben wäre ... Gerade im Alter hat man das Recht auf Wünsche und Ansprüche. Darauf, sich selbst zu verwirklichen. Weil man ja nicht mehr so viel Zeit hat.“

Premiere am morgigen Freitag, 4. September, um 19.30 Uhr auf dem Theaterschiff, Schiffbauergasse, Karten kosten 14 bis 19 Euro


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