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Potsdamer Neuste Nachrichten vom 09.06.2011 zu Die Reise nach Petuschki

Und wieder ist er Kommissar

Und wieder ist er Kommissar

von Heidi Jäger

Eigentlich ist er medienschau. Doch für die Lesung auf dem Theaterschiff lässt er sich auch mal auf Journalisten ein. Foto: Andreas Klaer

Er will die Leute zum Lachen bringen: Samstag ist Jörg Schüttauf auf dem Theaterschiff in der Reihe „Theaterstars an Bord“ als Säufer Wenedikt zu erleben

Sobald man seine Worte zu Papier bringt, wirken sie merkwürdig spröde: wie ungeschliffene Diamanten. Es fehlt das sprühende Funkeln, der Glanz des Augenblicks. Jörg Schüttauf muss man einfach erleben, in seiner unverwechselbar komödiantischen Art: mit seinem hemdsärmligen Charme, dem Kokettieren mit der eigenen Unsicherheit, mit dem Lausbubenzwinkern aus den viel besprochenen wasserblauen Augen. Und vor allem mit dem entwaffnenden Humor. Er ist der Entertainer, der selbst aus dem Bestellen eines Kaffees einen kleinen Auftritt macht. Und das schon morgens um 9 Uhr. Hier ein trockener Spruch zum Kellner, dort ein schalkhaftes Necken mit dem Bekannten am Nachbartisch, auf das prompt der Wunsch nach Schüttaufs Promi-Gesicht für ein Charity-Projekt folgt.

„Das hat man nun davon, wenn man sich der Presse zeigt“, sagt der medienscheue Mime, dessen Konterfei gerade ein Potsdamer Stadtmagazin ziert, auf dem ihm der „Backstoltz“-Kellner nun scherzhaft die Kaffeesahne serviert. „Ich bin noch nie der Presse-Heini gewesen“, sagt Jörg Schüttauf, der auf Talkshows und rote Teppiche verzichtet. Meistens. Lässt er sich doch mal hinreißen, das Rampenlicht dem Bühnenhintereingang vorzuziehen, kann es passieren, dass er vorbeigewunken wird und Platz für die richtigen Medienstars machen muss. Sagt er jedenfalls. Mag es glauben, wer will.

Für seine Medienscheu hat sich der bodenständige Caputher einen guten Grund zurechtgelegt: „Man läuft sonst Gefahr, dass alle alles über dich wissen und schon hast du das blumige Geheimnis um dich gelüftet. Mit einem dummen Satz kann alles verloren sein.“ Dennoch hält er nun wacker sein unrasiertes Gesicht in die Kamera, zuppelt an dem lässigen blaugestreiften Kapuzen-Shirt über der löchrigen Jeans und fährt noch einmal mit den Händen durchs Haar, so dass es noch wuschelig-verwegener wirkt.

Dass sich der 49-Jährige auf ein Journalistengespräch einlässt, hat weniger mit einem Sinneswandel zu tun als mit einem Freundschaftsdienst. Denn wenn er am Samstag auf dem Theaterschiff aus der unterhaltsamen, mit Wodka getränkten „Reise nach Petuschki“ von Wenedikt Jerofejew liest, macht er das vor allem für die dortige neue Künstlerische Leiterin, Martina König, die er noch aus alten Hans-Otto-Theater-Zeiten kennt. „Martina hat einen guten Job gemacht und sieben Jahre gekämpft, dass ein Westberliner Stück mit Westberliner Sexualität auf ostdeutschem Boden Erstaufführung hatte. Offensichtlich haben wir hier anders gepoppt, dass es so lange dauerte.“ So wie es „Was heißt hier Liebe“ noch vor der Wende auf die Bühne schaffte, schlug Martina König nun auch eine Lücke in Schüttaufs prall gefüllten Terminkalender für die jetzige Lesung frei. „Da ich der Ja-Sager bin, habe ich zugestimmt.“ Allerdings mit der Folge, dass seine erste Lesung ausfiel, weil der umtriebige Mime schon wieder als Kommissar unterwegs ist und zum Dreh ins Elbsandsteingebirge musste.

Wieder Kommissar? Hat er nicht gerade verkündet, die Nase endgültig voll zu haben von den immer gleichen Sätzen: Wo waren Sie am Donnerstag? Hände hoch! Waffe weg!

Obwohl der Tatort-Kommissar so etwas wie der Ritterschlag für jeden Schauspieler scheint, hat Jörg Schüttauf seine „Polizei-Marke“ 2009 abgegeben. „Acht Jahre Tatort in einer Konstellation, die nicht immer glücklich war, hat mir gelangt“. Von den18 gelösten Fällen war er nur mit vieren zufrieden, in denen er sich auch selbst wiederfand. „Diese ganzen Streitereien mit meiner Partnerin Andrea Sawatzki, die dumm ins Textbuch reingeschrieben wurden, nervten mich.“ Und er erzählt, wie er sich über eine Spiegel-Kritik freute, die ihn als „Low-Performer“ bezeichnete. „Der Rezensent hat richtig hingeguckt. Ich wollte mit meinem Hauptkommissar Fritz Dellwo gar nicht so punkten, um nicht zu fest in einer Schublade zu verschwinden.“ So fand er es auch gar nicht schlimm, als ihn jemand fragte: „Sind Sie nicht der vom Sawatzki-Tatort?“ Und das sagt er fast ohne Augenzwinkern. Doch Jörg Schüttaufs Stärke besteht darin, mehr Frage- als Ausrufezeichen zu setzen. Seine Aussagen sind keineswegs in Stein gemeißelt. Er scheint sich beim Erzählen gern selbst zu überprüfen. Allerdings nicht wie der schwergewichtige Grübler, sondern eher wie ein flinker Dompteur, dem auch mal ein Ball danebenfällt, ohne dass er sich selbst als Künstler in Abrede stellt.

Doch amtlich ist: Jörg Schüttauf ermittelt nun bei RTL. Der Pilotfilm der Serie „Die Draufgänger“ hatte bereits Premiere. Trotz Kommissar-Syndrom stimmte er sofort zu, nachdem er die ersten Sätze des Drehbuchs gelesen hatte. Denn die seien einfach mal witzig gewesen und nicht so triefend ernst vor lauter Sozialkritik, dass es einem den ganzen Tag danach schlecht geht. „Das Drehen war super, ich durfte lachen und keiner am Set rümpfte die Nase. Aus heiterem Gemüt sprudele ich über vor Ideen. Der Tatort war indes eine humorfreie Zone. Und er bedeutete auch Berufsverbot.“ So wollte man ihn stoppen, in einem anderen Tatort den Verbrecher zu spielen, wie in dem hochgelobten Münchener Fall „Außer Gefecht“ mit Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, in dem er einen angsteinflößenden „Sterbehelfer“ gab. „Ich will aber auch nicht zu viel auf die ARD schimpfen, schließlich kann ich auch dankbar sein, dass ich für so wenig so viel Geld gekriegt habe. Und mein Ausspruch ist: Lieber reich als berühmt.“ Und wieder wird sein Gesicht von herrlichen Lachfalten überzogen.

In der Regie von Florian Kern spielt er nun einen der beiden „Draufgänger“: den sicherheitsbewussten Familienvater, der statt Lederjacke „einen so was von schnieken Anzug“ trägt. Und er lernt für seine Rolle die Gebärdensprache, weil eines seiner Kinder taubstumm ist. „Die Fälle sind eher nebensächlich. Es geht vor allem um die Dialoge zwischen den beiden Ermittlern“, und die kann er auch als der akkurate Beamte durchaus mit einem Schmunzeln im Hinterkopf spielen. „Der Cowboy unter der Bullerei ist indes Dominic Boeer: ein durchgeknallter Typ. Und so was von durchtrainiert. Ich bemühe mich gerade, nicht ganz abzufallen.“

Montainbike, Skater und Stöcke sind immer dabei, wenn er mit seiner rollenden Schrankwand, dem schwarzen Range Rover, auf Dreh fährt. Im Moment ist er allerdings eher der Rehasportler, denn noch immer schmerzt das Knie, nachdem er vor zwei Jahren nach einem schweren Motorradunfall fast das Zeitliche segnete. „Sieben Meter flog ich über ein Auto. Und in diesem Moment kam eine Frau, die gerade einen Lebensretterkurs absolviert hatte. Sie holte mich aus meiner Schockstarre zurück, indem sie mich immer wieder ansprach. Und ich dachte: Das musst du dir merken für den nächsten Dreh.“ Und tatsächlich spielt er nun in einem Weihnachtsfilm selbst den rettenden Engel.

Nach diesem Unfall fiel Jörg Schüttauf nicht nur in ein Loch, in dem er manchmal landet, wenn sich zwei Wochen keine Agentur meldet und er Frau und Tochter mit seiner Ungeduld schon etwas nervt. „Das war eine richtig tiefe Grube“, sagt er nachdenklich. Doch sofort erzählt er munter weiter, dass er in seinem Job die Leute vor allem zum Lachen bringen will. So wie damals am Hans Otto Theater bei „Was heißt hier Liebe“, als „Amadeus“ oder als „Revisor“. Vielleicht sieht man ihn ja eines Tages wieder auf heimatlicher Bühne, Lust zum Theaterspielen hätte er. Auf jeden Fall will er sich mit dem jetzigen Intendanten mal auf einen Kaffee treffen. „Witzigerweise habe ich mit Tobias Wellemeyer gemeinsam in Leipzig auf der Theaterhochschule studiert. Ich mag sein Ensemble, da sind ein paar wahnsinnsbegabte Typen am Werk.“ Aber er habe auch Angst vor dem Scheitern, dass er von solch theatertrainierten Leuten an die Wand gespielt werden könnte, räumt er ein. „Film ist schließlich eine andere Baustelle.“ Dabei hat er 2004 am Maxim-Gorki-Theater in der Dreigroschenoper den Peachum gespielt, mit einem Riesenerfolg, vier Jahre ständig ausverkauft. Und das lag nicht nur an seinen Augen.

„Zu mir hat mal jemand gesagt: Alles, was du bist, bist du durch deine blauen Augen. Und ich dachte: Scheiße, das ist ein bisschen wenig.“ Doch allein der Adolf-Grimme-Preis für seine Titelrolle „Lenz“ blickte tiefer. Und auch „Berlin is in Germany“ zeigte ihn überaus facettenreich. Jetzt aber kann er mal wieder live auftrumpfen und die Reihe „Theaterstars an Bord“ mit seiner „Reiselektüre“ eröffnen. „Beim lauten Lesen hatte ich den Eindruck, das könnte ich geschrieben haben. Dieser Wenedikt ist mir sehr ähnlich: Er redet unheimlich viel dummes Zeug, ist aber auch ganz schlau. Im Zug trifft er auf Typen, die noch schräger sind als er.“ In der Sowjetunion war dieses Buch verboten, dann wurde es in Israel verlegt und zum Bestseller. „Ich hoffe, dass ein paar Leute zur Lesung kommen. Allein habe ich ja schon darüber gelacht.“

Lesung 11. Juni, 20 Uhr, Theaterschiff. Karten für 20 € unter Tel.: (0331) 2800 100


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