„Nacktbadestrand“ auf dem Theaterschiff Potsdam Lust bis in die späten Stunden von Sarah Kugler
Ein verlotterter Mann in Trainingsanzug will sich
im Park über sie hermachen, ein anderer kommt mit roter Suffnase zu
Besuch und der nächste möchte ihre Exkremente verkosten. Elfriede Vavrik
erlebt einiges an Überraschungen, als sie sich mit 79 Jahren
entschließt ihre versäumte Sexualität nachzuholen, doch die Mühe lohnt
sich. Nicht nur für Vavrik, die nun endlich mal erleben darf, wie sich
ein Orgasmus anfühlt, sondern auch für das Potsdamer Publikum, das die
zauberhafte Bühnenfassung von Vavriks Buch „Nackbadestrand“ am
vergangenen Freitagabend in der Premiere auf dem Theaterschiff in der
Schiffbauergasse unter der Regie von Rosa von Praunheim erleben durfte.
Zauberhaft vor allem durch die sensible Spielweise von Schauspielerin
Christiane Ziehl, die auch für die Bühnentextfassung verantwortlich
ist. Es ist herrlich anzusehen, wie sie sich von der immer arbeitenden,
etwas nüchternen, sich für die Familie aufopfernde Mutter zu einer
sinnlichen, sich selbst liebenden und vor allem selbstverstehenden Frau
wandelt, die sich einen Teufel um gesellschaftliche Konventionen schert.
Ziehl spielt Vavrik, die nach zwei gescheiterten Ehen 40 Jahre nur
für ihre drei Söhne und ihren Buchladen lebt. Als sie diesen aus
gesundheitlichen Gründen aufgeben muss, verfällt die 79-Jährige in
Altersdepression und Schlafstörungen. Erste Selbstbefriedigungsversuche
mit einem Schaufelstiel helfen, aber so richtig zufrieden ist sie nicht,
bis ihr er Arzt rät, doch mal Sex mit Partnern zu versuchen. Also setzt
sie eine Kontaktanzeige mit dem Wortlaut: „69-Jährige sucht Partner für
Sex ohne Bindung“ in die Zeitung. Von den hunderten Zuschriften
überwältigt, tastet sie sich erst schüchtern, dann immer selbstbewusster
in ein ihr bisher unbekanntes Liebesleben. In ihrem Anspruch, gerade im
Alter das Recht auf Sexualität und Selbstverwirklichung zu haben,
bricht sie zahlreiche Tabus.
Regisseur von Praunheim überlässt Ziehl dabei die Bühne vollkommen
alleine, alle Männer ertönen lediglich als Stimme vom Band, genauso wie
erboste Nachbarn, die sich über den großen und immer wechselnden
Männerbesuch bei der alten Dame beschweren. Wie die Schauspielerin dabei
die Bühne beherrscht, ohne aufdringlich zu sein, detailliert von den
sexuellen Erfahrungen berichtet, als würde sie von einer Auslandsreise
erzählen, ist umwerfend gut.
„Nacktbadestrand“ ist nicht nur die Geschichte einer Frau, die sich
neu entdeckt und ganz modern ihr Glück in der sexuellen Befriedigung,
statt in der festen Paarbeziehung sucht. Es ist auch eine klatschende
Ohrfeige an die Gesellschaft, die ach so aufgeklärt tut, bei dem
Gedanken an sexuell sehr aktive Frauen aber immer noch rote Ohren
bekommt, erst recht, wenn sie ein bestimmtes Alter überschritten haben
und auch noch jüngere Partner haben. Dabei zeigt das Stück deutlich,
dass es letztendlich nur jeden selbst angeht, wie er sein Leben lebt,
solange er niemandem damit schadet. Wie Ziehl am Ende ganz richtig sagt:
„Wir tun einander gut und nur darauf kommt es an.“ Und wenn sie an
einer anderen Stelle die Worte „Ich schloss die Augen und fühlte mich
schön. Mit 79 Jahren war ich endlich eine schöne Frau.“ spricht, denkt
der ein oder andere Zuschauer sicher auch darüber nach, sich nochmal
etwas zu trauen. Letztendlich ist es doch nie zu spät, oder?
„Nacktbadestrand“, wieder am 11. September (19.30 Uhr) auf dem Theaterschiff
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