von Steffi Pyanoe
Rosa von Praunheim inszeniert mit Christiane Ziehl
„Nacktbadestrand“ auf dem Theaterschiff in Potsdam. Darin entdeckt eine
79-Jährige ihre Lust - und verstößt gegen mehrere Konventionen einer
verklemmten Gesellschaft.
Potsdam - Quer über die Bühne ist ein dünnes Seil
gespannt. Dahinter steht Christiane Ziehl, eine kleine Frau, und
probiert, ob sie darüberschauen könnte, ins Publikum. Es ginge, gerade
so. „Na ja, da kommt ja noch die Wäsche dran, lauter bunte BHs“, sagt
sie verschmitzt. Es ist Probenzeit auf dem Theaterschiff, am morgigen
Freitagabend findet seit Langem wieder eine Premiere auf dem
„Sturmvogel“ statt. „Nacktbadestrand“ heißt das Stück, eine Collage nach
dem Bestseller der Österreicherin Elfriede Vavrik.
„Ich hoffe, es kommen viele Altersheime“, sagt Rosa von Praunheim
aufgeregt. Der Regisseur und Autor aus Berlin inszeniert das Stück mit
der Schauspielerin aus Brandenburg/Havel. Es wird die Uraufführung des
Stoffes als Bühnenstück. Und es geht um sexuelle Lust im Alter. Um eine
Frau, die mit 79 Jahren ihre Lust entdeckt und beschließt sie
auszuleben. Sich zu nehmen, wonach ihr ist. Liebhaber. Mehrere. Und
meist sogar wesentlich jüngere. Gleich mehrfach verstößt sie damit gegen
die Konventionen einer verklemmten Gesellschaft. Weil es ihr so gut
tut. „Ich habe meine drei Kinder und meine drei Liebhaber. Ich bin
zufrieden“, wird sie am Ende sagen. Themen, über die man nicht spricht
Deshalb haben sie auch Einladungen an Seniorenheime verschickt, ganz
ernst gemeint. Rosa von Praunheim hat in Sachen Sex keine
Artikulationsprobleme. Im Gegenteil. Es dauert nur wenige Augenblicke,
bis er seinen Gesprächspartner liebevoll seziert hat. Der Begründer der
Schwulen-Film-Szene, der auch einige Zeit an der Potsdamer
Filmhochschule dozierte, und Christiane Ziehl kennen sich aus früheren
Filmprojekten. Für den so außergewöhnlichen wie menschlichen Stoff habe
sich das Theaterschiff einfach angeboten, sagt Ziehl. Ein bisschen hat
Rosa sie überrumpelt zu der Rolle. Sie hätte gern Regie geführt. „Sie
spielt aber so gut“, sagt von Praunheim.
„Mich interessieren Themen, über die man nicht spricht. Mir imponiert
der Mut, den Elfriede Vavrik hatte“, sagt Christiane Ziehl. Sie ist 64
Jahre alt, sie ärgert sich über ihre Oberarme, sie ist nicht schlank. Du
musst dich nicht verstecken, du bist schön, sagt Rosa. Sex gegen Depressionen
Elfriede Vavrik hat so etwas wohl nie gehört, jedenfalls nicht, bevor
sie ihr Sexleben und sich selbst neu entdeckte. Sie war zweimal
geschieden, hatte drei erwachsene Kinder und konnte, nachdem sie
Rentnerin geworden war, nachts nicht mehr schlafen. Wurde depressiv. Was
wäre gewesen, hätte der Arzt ihr einfach Pillen verschieben, wie sie
das wollte?
Aber nein, sagte er, sie solle es mal mit Sex versuchen. Also
annoncierte sie, suchte nach Partnern, fürs Bett, nicht fürs Leben.
Hatte mit fast 80 Jahren ihren ersten Orgasmus, wie sie schreibt. Und
konnte auch wieder gut schlafen. Als das Buch vor fünf Jahren erschien,
war sie Gast in vielen Talkshows. Rosa von Praunheim: „Es geht nicht um Liebe, es geht um Sex"
Nun ist Christiane Ziehl diese Elfriede. Erzählt dem Publikum von dem
Arztbesuch, blättert in der Zeitung, liest die Zuschriften auf ihre
Anzeigen, ruft Männer an, verabredet sich. Dazwischen hängt sie Wäsche
auf, BHs und dazugehörige Schlüpfer, sagt Ziehl. „Ausziehen wird sich
niemand“, und Rosa kann sich ein „Schade eigentlich“ dazu nicht
verkneifen. Ab und zu wird eine Geigerin auftreten, eine passende
Melodie spielen. Ziehl wird sich schminken und für die Rendezvous
zurechtmachen. Die Männer selbst kommen nur als Stimme vom Band. „Es
geht nicht um Liebe, es geht um Sex“, sagt Rosa von Praunheim. Das sei
ein wichtiger Unterschied. Und gerade das – dass auch Frauen wechselnde
Partner haben wollen – sei eben noch lange nicht gesellschaftlich
anerkannt. „Bei Männern wird das akzeptiert. Die dürfen das“, sagt er.
Die dürfen sich auch jüngere Partnerinnen suchen. Wenn eine alte Frau
mit einem jungen Mann schläft, ist das pervers. Nein, an der
Verklemmtheit der Umwelt gibt es nichts zu beschönigen. Das hat er schon
1971 zum Thema Schwul-Sein gesagt: „Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation, in der er lebt.“
Trotz der klaren Worte, die Autorin, Schauspielerin und Regisseur
verwenden, sei es keineswegs ein pornografisches, sondern ein sehr
berührendes, fast leises, sensibles Stück. Hier steht einfach eine Frau.
„Und sagt, was sie zu sagen hat.“ Dazu werden im Hintergrund fast 40
Bilder gezeigt, gemalt von Rosa von Praunheim. Diese Bilder hätten eine
eigene Ausstellung verdient. Praunheim hat gemalt, was Ziehl sagt – oder
was ungesagt bleibt. Körper und Körperteile, blumig, verletzlich, derb,
ungenormt, verzerrt, surreal. Auch Schwänze, Brüste, Hintern, Vaginas.
Doppelschwänze. „Ja, das gibt es“, sagt er und scheint sich einen Spaß
daraus zu machen, die entsprechenden Fachwörter anzuwenden.
Die Sprache von Elfriede Vavrik ist manchmal fast ebenso direkt.
Nicht immer geht es dabei nur um Sex. „Wenn ich bei einem meiner Freunde
in den Armen lag, dachte ich oft, dass es ein guter Augenblick zu
sterben wäre ... Gerade im Alter hat man das Recht auf Wünsche und
Ansprüche. Darauf, sich selbst zu verwirklichen. Weil man ja nicht mehr
so viel Zeit hat.“
Premiere am morgigen Freitag, 4. September, um 19.30 Uhr auf dem Theaterschiff, Schiffbauergasse, Karten kosten 14 bis 19 Euro |