Carlotta, Gasparo und die Leidenschaft von Dirk Becker
Star
seiner Zeit. Wie Gasparo Conti in „Der Virtuose (Il castrato)“ war auch
der Italiener Farinelli ein gefeierter Kastrat. Im gleichnamigen Film
aus dem Jahr 1994 machte Stefano Dionisi (Bild) diesen Sänger auch einem
breiten Publikum bekannt. Foto: Archiv
Mit „Der Virtuose (Il castrato)“ kommt im Theaterschiff eine außergewöhnliche Gemeinschaftsproduktion zur Premiere
Am Anfang ist er nur ein kleiner Junge wie die
anderen in seinem Dorf. Ein wenig mollig, mit blassem Gesicht und beim
Spielen so wild wie jeder andere Junge. Aber singen kann dieser Gasparo
Conti, dass es einem die Sinne betört. Doch dann, im Alter von elf
Jahren, ist Gasparo über Nacht auf Nimmerwiedersehen aus seinem
Heimatdorf Croce de Carmine verschwunden.
In ihrem Roman „Der Virtuose“ aus dem Jahr 1993 erzählt Margriet de
Moor vom Verschwinden und Wiederfinden Gasparo Contis aus der Sicht der
Ich-Erzählerin Carlotta. Die Tochter eines verarmten Adligen ist auch in
dem Dorf Croce de Carmine aufgewachsen und war, ein Jahr jünger als
Gasparo, von dessen Gesangskünsten zutiefst beeindruckt. 17 Jahre
später, Carlotta ist längst verheiratet und Mutter zweier Kinder, findet
sie Gasparo wieder. Der ist mittlerweile ein gefeierter Kastrat und
Star im Teatro San Carlo in Neapel. Carlotta, die schon als Kind von
Gasparo fasziniert war, lässt sich auf eine Affäre mit dem Sänger ein.
Eine Affäre, die nur einen Sommer dauert. Am kommenden Samstag hat die
Geschichte von Carlotta und Gasparo in der musikalisch-szenischen Lesung
„Der Virtuose (Il castrato)“ Premiere auf dem Theaterschiff.
Für Martina König, Regisseurin am Theaterschiff, ist „Der Virtuose (Il
castrato)“ die erste Arbeit im musiktheatralischen Bereich. „Absolutes
Neuland“, wie sie selbst sagt. Aber neben dem Musikalischen zählt in
dieser Inszenierung vor allem das Zwischenmenschliche in der Beziehung
von Carlotta und Gasparo. Diese Sehnsucht und Leidenschaften, das Hin
und Her zwischen Mann und Frau und Grundfragen an das Dasein. „Da war
ich wieder ganz bei meiner Profession als Schauspieldramaturgin“, so
Martina König. Und so hat sie sich in dieses Abenteuer von „Der Virtuose
(Il castrato)“ gestürzt, eine Inszenierung, die ursprünglich im
Spielplan des Theaterschiffs nicht vorgesehen war.
Im Dezember hatte das Team um Martina König erfahren, dass ab 2014 die
jährliche Förderung vom Land Brandenburg in Höhe von 15 000 Euro nicht
mehr gezahlt wird. Fehlendes Geld, das die Existenz des bekannten und
langjährigen Veranstaltungsortes gefährdete. Daraufhin sprang die Stadt
ein und erhöhte die jährliche Förderung von 95 000 auf 105 000 Euro.
Dieser Zuschuss von 10 000 Euro ging dann zulasten des freien Ensembles I
Confidenti. „Ich bekomme ein schlechtes Gewissen den Kollegen
gegenüber“, sagte Martina König, als sie damals von dieser Umverteilung
hörte. Aus diesem Unbehagen ist nun eine Zusammenarbeit entstanden,
deren Ergebnis am Samstag mit „Der Virtuose (Il castrato)“ auf der Bühne
des Theaterschiffs zu erleben ist.
Christine Jaschinsky, künstlerische Leiterin des Ensembles I
Confidenti, sprach Martina König nach der Entscheidung der Stadt an und
fragte, ob man aus der Not nicht eine Tugend machen wolle und gemeinsam
ein Stück inszenieren könnte. „Es ist schon erstaunlich, was sich aus
dieser Zwangslage entwickelt hat“, sagt Martina König. Denn nicht allein
Theaterschiff und I Confidenti arbeiteten für „Der Virtuose (Il
castrato)“ zusammen, sondern auch das Hans Otto Theater unterstützte die
Produktion. „Da ich keinerlei Erfahrung mit dem Musiktheater hatte,
sprach ich Carola Gerbert an, die trotz ihres vollen Terminkalenders
sofort zusagte.“ Carola Gerbert, unter anderem als Dramaturgin für die
Potsdamer Winteroper mitverantwortlich, suchte die Arien für die
Inszenierung aus und half bei jeglichen musikalischen Fragen. „So ist
hier in der Schiffbauergasse ein künstlerisches Miteinander entstanden,
das wir auch als ein Zeichen an die Öffentlichkeit verstehen möchten“,
sagt Martina König. Ein Zeichen, dass hier niemand dem anderen die
Fördergelder neidet, sondern dass man zusammen einen Weg finden kann.
Die Geschichte von Carlotta und Gasparo ist auf dem Theaterschiff in
einer sparsamen Inszenierung zu erleben. Der Countertenor Razek François
Bitar in der Rolle von Gasparo, Andrea Brose als Contessa Carlotta und
Mira Lange als Begleiterin am Cembalo, viel mehr braucht es nicht, um
dieses Miteinander zu erzählen. In ihre Regiearbeit hat Martina König
auch das eigene Staunen beim Entdecken dieser musikalischen Welt des 18.
Jahrhunderts einfließen lassen. Auch einen offenen und im positiven
Sinne naiven Blick auf die Schönheit dieser Musik und die damit
verbundene Hingabe des Künstlers. „Mir war es wichtig, dass diese
Hingabe und gewisse Naivität auch im Gesang wiederzuentdecken ist“, sagt
Martina König. In Razek François Bitar hat sie einen Künstler gefunden,
der ihre Vorstellungen mittragen und entsprechend gestalten kann.
„Dieses Gemeinschaftsprojekt war und ist noch immer eine große
Herausforderung“, sagt Martina König. Allein eine überzeugende Umsetzung
von Gesang und Instrumentalspiel im niedrigen Schiffsrumpf erfordert
ein besonderes Feingefühl und entsprechende technische Fertigkeiten. „An
den Feinheiten arbeiten wird derzeit immer noch.“ Trotz des Aufwandes
ist „Der Virtuose (Il castrato)“ vorerst nur zweimal im Theaterschiff zu
erleben. „Das ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass wir
diese Inszenierung außerplanmäßig ins Programm genommen haben.“ Doch
diese berührende Geschichte von Carlotta und Gasparo, dieses knisternde
Spiel von Liebe und Leidenschaft mit musikalischer Umrahmung soll nicht
nach den zwei Aufführungen für immer aus dem Programm verschwinden. So
viel kann Martina König schon jetzt versichern.
Premiere von „Der Virtuose (Il castrato)“ am Samstag, dem 17. Mai, um
20 Uhr auf dem Theaterschiff in der Schiffbauergasse. Die zweite
Aufführung ist am Samstag, dem 24. Mai, um 20 Uhr im Theaterschiff zu
sehen. Der Einritt kostet 25, ermäßigt 20 Euro |