BÜHNE: Biografischer Super-Gau
Das Drama „König Ödipus“ als Komödie
POTSDAM / INNENSTADT - Es war einmal eine Zeit, da konnte jeder deutsche Gymnasiast etwas über Sophokles’ Drama vom König Ödipus sagen. Sehr lang ist’s her, inzwischen wissen nur noch besonders Bildungsbeflissene, dass Ödipus der Mann war, der seine eigene Mutter geheiratet hatte und trotzdem nicht recht glücklich wurde. Auf dem Theaterschiff hatten am Donnerstagabend jene, denen Bildungslücken mehr Schmerzen bereiten als Zahnweh, Gelegenheit, eine vom 33-jährigen Musik-Kabarettisten Bodo Wartke bearbeitete Ödipus-Variation zu inhalieren.
Die bekanntermaßen verwickelten Beziehungen zwischen den alten Griechen und ihren Göttern hier auszuführen ist der Raum nicht und doch muss unbedingt auf die leidige Rolle des Orakels von Delphi hingewiesen werden. Das nämlich hätte sich nicht träumen lassen, dass alle 14 Rollen dieser Tragödie vom 21-jährigen Marcus Löwer im fernen Potsdam einmal allein gestemmt werden würden. Eine Herkules-Aufgabe wahrlich, obgleich dieser Herkules einer der wenigen ist, die in der Inszenierung von Mathias Iffert gar nicht vorkommen.
Dafür aber König Laios von Theben und dessen Gemahlin Iokaste, die es als leibliche Eltern des Ödipus laut Orakel ganz übel trifft. Papa Laios wird versehentlich vom Sohn erschlagen und Mama ebenfalls in Unkenntnis der familiären Verhältnisse geheiratet. Inklusive aller Vergnügungen, die selbst die lockeren Sitten der Griechen zwischen Mutter und Sohn verbieten. Am Ende kommt ja die Wahrheit sogar in Hellas ans Tageslicht und vor zweieinhalbtausend Jahren wurde dort noch heftig sanktioniert.
Zurück zum Bühnengeschehen, das von dem vor Spielfreude nur so Texte sprudelnden jungen Mann im hellen Nadelstreif furios bewältigt wurde. Mal war er der stolze König Ödipus, den Bruchteil einer Sekunde später spielte er die Rolle seines Schwagers Kreon, um sogleich im Diskant sprechend als Gattin Iokaste zu fungieren. Zudem sang er, von Bernhard Frese auf der Gitarre begleitet, meist jazzig, dann wieder schlagerreif oder steigerte sich unerwartet in einen so bravourösen Rap, dass den Zuschauern die Münder offen standen.
Die Wortspiele und Pointen saßen bestens und es gelang Löwer sogar, die Anwesenden zum Refrain-Singen zu animieren. Wollte man nörgeln, so wäre zu erwähnen, dass die Inszenierung sich vor der Pause etwas dehnte und so an Spannung und Tempo verlor. Auch wird es das Geheimnis des Regisseurs bleiben, warum er mit der allzu naturalistischen Blendung des Helden plötzlich in das Genre Tragödie wechselte und so das Publikum verunsicherte.
Glücklicherweise gelang dann aber doch wieder der Schwenk zum Schwank, der das wie rasend klatschende Publikum noch ein wenig gebildeter und erheblich glücklicher zurückließ. (Von Lothar Krone) |